Rotkehlchen 50 x 100

Rotkehlchen

Rotkehlchen

„Da ist schon wieder einer von denen, diesen Menschen. Jetzt wo es wärmer wird, kommen sie immer öfter heraus.“
Mein hohes Zwitschern vibriert in der Luft und meine Freunde merken auf. Ein Blick auf die Frau reicht und sie verstecken sich panisch zwischen den Zweigen der Bäume.
Ich dagegen springe von einen Ast auf den nächsten, um den braunen Pferdeschwanz nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist die gleiche Frau, die gestern und vorgestern auch herkam.


„Was macht sie immer hier, in unserem Garten?“
Erzürnt plustere ich meine rote Brust auf und  taste mich näher, hüpfe umher, bis ich fast neben ihr bin. Zum Glück kann sie mich umgeben von den Blättern in meinem Busch nicht sehen.
Die Frau singt, ohne den Mund zu öffnen.


„Wie geht das?“
Verwirrt schaue ich ihr zu.
Sie blinzelt kurz hoch zur Sonne, streicht sich dann die Haare zurück, hört aber nie auf zu singen. Natürlich ist unser Zwitschern viel schöner.
Die Frau stört sich nicht an meinem Meckern und singt immer weiter. Nein…wie nennen die Menschen es gleich? Summen! Sie summt. Das Lied ist fröhlich und locker-leicht wie Sommerwinde, die mich in die Höhe tragen oder Wolken am Himmel.


„Hey!“
Mein Zwitschern wird immer lauter. Todesmutig wage ich mich aus meinem Versteck und setze mich so hin, dass sie mich sehen kann. „Du singst gar nicht so schön wie ich!“
Tatsächlich dreht die Frau den Kopf. Ich erstarre auf der Stelle, das habe ich nicht erwartet. „Tut mir leid.“, zwitschere ich beinahe beschämt, doch sie lächelt. Ein nettes Lächeln, wären da nicht diese unheimlichen Zähne. Wozu braucht man so große Hauer?
„Du süßes Ding, hast bestimmt nicht mehr genug Wasser, um zu baden, oder?“ Sie greift nach dem riesigen gelben Wurm, der hin und wieder Wasser ausspuckt und geht herüber zu dem Vogelbecken.
Ich folge ihr aus sicherer Entfernung. Aus den Bäumen zwitschern meine Freunde mir zu, dass ich mich verstecken soll, aber ich will wissen, was die Frau hier macht. „Nein…aber eigentlich ja. Eine fette Taube hat in das Wasser geschissen.“ Kurz lasse ich mich ablenken. „Was machst du hier? Frisst du uns unsere Würmer weg?“
Sie antwortet nicht, sondern richtet den Strahl auf das Becken und füllt es mit frischem Wasser. Tropfen, groß genug, das ich davon einen ganzen Tag leben könnte, spritzen silbern in die Höhe. Wäre die Elster jetzt hier gewesen, hätte sie sich auch die geschnappt, gieriges Ding!


„Hallo? Hörst du mich nicht?“
Ich hüpfe ein bisschen näher. Wie kann sie mich trotz ihrer Segelohren nicht hören? Sind sie von zu viel Fell überdeckt?
„Du hast ganz schön viel zu sagen, oder? Ich hab dich bestimmt gestört.“ Sie wirft mir einen vorsichtigen Blick über ihre Schulter zu, als ob sie mir Angst machen könnte.
Niemand kann mir Angst machen! Außer natürlich sie kommt auf mich zu, dann bin ich sofort weg. „Ja, hast du.“
Meine Freunde in den Bäumen schreien entsetzt auf.
„Ich gieße nur die Blumen. Dann kommen auch ein paar neue Regenwürmer für euch hoch.“
Ich lege meinen Kopf schief und verstumme. Sie will für uns die Regenwürmer holen? Sie will uns unseren Garten gar nicht wegnehmen? Vielleicht sind die Menschen doch gar nicht so schlecht…
Nein! Halt! Sie kommt auf mich zu!
Ich bin weg! 

Geschrieben und gelesen von Lara Robbie

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